Albert Einstein, der Imperator und jede Menge Zeit

Fakten und Fiktion in literarischen Werken – in der Literaturwissenschaft ungern thematisiert, der Autor ist schließlich schon lange tot und Literatur darf erst einmal alles. Eine nicht für jeden befriedigende Sichtweise, denn es geht auch anders. Das beweist Cornelia Franz mit ihrem an große Erzähler wie Erich Kästner erinnernden Kinderbuch Wie ich Einstein das Leben rettete.

Fakten und Fiktion – für Literaturwissenschaftler zwei völlig beliebige Kategorien. Literatur ist nun mal Literatur, der Autor schon lange tot und wen interessiert schon ob Mozart wirklich in Prag war oder nicht. Aber es ist doch einfach so: Der Wahrheitsgehalt einer fiktionalen Geschichte interessiert allgemein offenkundig wenig. Das wäre ja auch egal, nur ist man nicht nur Literaturwissenschaftler sondern auch noch Historiker, fühlt man sich der Geschichte und den wahren Begebenheiten verpflichtet, ich denke hier beispielsweise an ‚das Vetorecht der Quelle‘.* 

An dieser Stelle möchte ich nicht auf ‚alternative Fakten‘ hinaus, auch wenn es vielleicht den Anschein erweckt. Literatur darf ebenso wie Humor erst einmal alles – idealerweise wenn sie gut gemacht ist. Vermutlich ist es am Ende auch egal ob das was da steht wahr ist oder nicht. Nur möchte ich, wenn reale Personen und Begebenheiten für eine fiktive Geschichte herangezogen werden, am Ende wissen was jetzt wahr ist, sein könnte oder eben nicht.

Einen Service dieser Art muss der Autor nicht anbieten, es würde schon genügen wenn Lehrende an Universitäten sich solcher Fragen nicht verweigern würden. Aber ich schweife ab, denn eigentlich geht es hier um Cornelia Franz´ Kinderbuch Wie ich Einstein das Leben rettete. Dort bedient sich Franz der realen Person Albert Einstein und entwickelt um ihn herum eine fantastische Abenteuergeschichte. Frühe Ängste es könnte sich hierbei um ein ‚Und täglich grüßt das Murmeltier‚ trifft ‚Zurück in die Zukunft‘ in kindgerechter Form handeln, zerschlagen sich zum Glück schnell. Auch erklärt die Autorin im Anhang historische Orte und Begebenheiten, welche im Buch eine Rolle spielen. Zudem listet sie sämtliche verwendeten Zitate Einsteins mit kurzen Quellenangaben auf. Was kann sich das kleine Historikerherz mehr wünschen?!

Tja … Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.

Doch nun einige Worte zur tatsächlichen Handlung: Drei Kinder verschwinden einen Tag vor Ihrem Geburtstag am 29. Februar 2016 bzw. 2020 auf unterschiedlichen Schiffen in Richtung New York. Sie stranden im Jahr 1913 auf dem zu dieser Zeit größten Schiff der Welt, dem Imperator. Im Hafen von Hoboken, New Jersey müssen sie das an Bord ausgebrochene Feuer und die hieraus resultierende Panik der Passagiere immer wieder aufs Neue erleben. Wie und warum den drei Protagonisten Emily, Malik und Lorenzo es gelingt das Schiff zu verlassen und ob und wie sie am Ende in ihre eigene Zeit zurückgelangen, wird an dieser Stelle nicht verraten, doch Einstein hat definitiv einiges damit zu tun. Außerdem stehen den Dreien sowohl auf dem Imperator als auch später im New York der Vergangenheit das Mädchen Erna aus gutem Hause und der Berliner Willy Schuhmacher mitsamt seiner großen Familie zur Seite.

Zusammen mit der temporeichen und spannenden Erzählweise erinnern die Abenteuer der kleinen Kindergruppe an Erich Kästners rasante Detektivgeschichte ‚Emil und die Detektive‘. So könnte man diesem Gedanken folgend auch die Figur des Albert Einstein mit Erich Kästners Auftritten in seinen eigenen Werken vergleichen. Neben dem sehr gelungenen offenen und zugleich abgeschlossenen Ende sollen abschließend auch die Verweise auf die aktuelle Lage der Flüchtlinge unserer Zeit nicht unerwähnt bleiben. Eindrücklich und mit viel Empathie schildert Cornelia Franz die teils menschenunwürdige Behandlung der US-Einwanderer ein Jahr vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Es bleibt zu hoffen, dass sich hier der selbe Effekt einstellt wie bei Harry Potter-Lesern, welche laut einer Studie  der vergangenen Jahre mehr Toleranz und Empathie gegenüber anderen entwickeln. Denn wie ein vermutlich falsches Einstein-Zitat feststellt: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Cornelia Franz: Wie ich Einstein das Leben rettete
Illustrationen von Petra Baan
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2020, 192 Seiten, 14,00 €
ISBN 978-3-8369-6057-1

*Hiermit möchte ich mich für das akademische Geplapper entschuldigen. Zu allen angesprochenen Punkten die eventuell nur Fachidioten verstehen, habe ich weiterführende Informationen verlinkt.