Zum Schreien schön. Punkt.

Auch Kunstnichtkenner wissen: Sich wiederholende Motive sind in der Kunst weit verbreitet. Edvard Munchs 2004 gestohlenes Werk ‚Der Schrei‘ gibt es beispielsweise in fünffacher Ausführung. Diese Fokussierung auf ein Motiv scheint auch die Hauptfigur aus Peter H. Reynolds Der Punkt. Kunst kann jeder mit ihren Punkt-Werken anzutreiben.

Bewaffnet und maskiert stürmten auf den Tag genau vor 15 Jahren ein paar Dödel das Osloer Munch-Museum. Trotz zahlreicher Augenzeugen konnten sie zwei Munch-Gemälde von der Wand reißen und anschließend fliehen. Offensichtlich wurden die 1883 und 1884 entstandenen expressionistischen Werke ‚Der Schrei‘ und ‚Madonna‘ von Mitgliedern der norwegischen Unterwelt gestohlen, um die Polizei bei der Aufklärung anderer begangener Straftaten zu behindern. Erst nachdem im Rahmen eines Berufungsverfahrens der norwegische Kriminelle David Toska das Wissen um den Verbleib der Bilder gegen seinen Straferlass anbot, fanden sie stark zerstört ihren Weg zurück in das Osloer Munch-Museum.

Der Kunstmarkt an sich ist mittlerweile ja sowieso völlig verrückt und die Preise für bestimmte Werke mehr als bizarr. Was aber besonders erstaunlich ist: Kunstwerke wie ‚Der Schrei‘ gibt es in fünffacher Ausführung. Vier Gemälde und eine Lithografie. Wenn es das selbe Motiv vom selben Künstler fünfmal gibt, wieso ist es dann immer noch so wertvoll oder einfach nur teuer?

Aber gut, vielleicht fehlt einem Nicht-Kunstkenner hier einfach das Verständnis. Auch ohne Kunstkenntnis wissen Kunstnichtkenner: Ein Werk soll sich entwickeln und es ist scheinbar immer gut wenn sich ein Thema durchzieht. Genau das schafft Ina in Peter H. Reynolds Der Punkt. Kunst kann jeder mit ihren Punkt-Werken.

Wenn ich kleine Punkte malen kann, dann kann ich auch GROSSE Punkte machen.

Denn es ist so, eigentlich kann Ina nicht malen. Sie sitzt vor ihrem leeren Blatt Papier und ist muffelig. Ihre Lehrerin macht die Sache auch nicht besser indem sie anmerkt „Oh! Ein Eisbär im Schneesturm“. Doch dann erhebt eben diese Lehrerin Inas aus Trotz aufs Papier gemalten Punkt auf die Kunstebene. Sie rahmt ihn ein und hängt ihn an die Wand. Ab diesem Zeitpunkt gibt es kein Halten mehr. Ina malt kleine rote Punkte, lila Punkte und blaue Punkte. „Wenn ich kleine Punkte malen kann, dann kann ich auch GROSSE Punkte machen.“ Sie malt Punkte ohne Punkte zu malen. Sie malt Punkt um Punkt und sorgt mit diesen für großes Aufsehen bei der schulinternen Kunstausstellung.

Wie so oft bei selbstgewählten Rezensionsbüchern gibt es an Peter H. Reynolds zeitlosem Bilderbuch nichts zu meckern. Die mit Wasserfarbe, Tusche und Tee gemalten Illustrationen lassen die Farben durch ihre Reduziertheit besonders leuchten. Das Schönste an diesem kleinen Kunstwerk ist jedoch dessen Schluss. Verraten darf man diesen selbstverständlich nicht. Es sei nur so viel verraten: Vermutlich werden wir bald viele Striche sehen. PUNKT.

Peter H. Reynolds: Der Punkt. Kunst kann jeder
Aus dem Amerikanischen von Julia Waltke
Handlettering: Ingrid Sissung
Druck und Bindung: TBB, a.s., Banská Bystrica
Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2008, 32 Seiten, 9,95 €
ISBN: 978-3-8369-5202-6