DDR, BRD und jede Menge Zuckersand

Die Freunde Fred Ernst und Jonas Gramowski graben in weißem Sand der an Zucker erinnert einen Tunnel nach Australien. Anlass ihrer Grabungsarbeiten ist ein Ausreiseantrag in die BRD. Ob ein solch ambitioniertes Projekt gelingen kann erfährt der interessierte Leser in Dirk Kummers Alles nur aus Zuckersand.

Jedes Kind träumt sicher irgendwann einmal davon einen Tunnel auf die andere Seite der Erde zu buddeln. In den meisten Fällen ist das genaue Ziel egal und die Gründe für ein solches Unternehmen gehen nicht über den reinen Spaß hinaus. Wenn der beste Freund jedoch in den Westen muss, weil dessen Mutter einen Ausreiseantrag gestellt hat, kann so ein Tunnel nicht nur vortrefflich ablenken sondern auch die letzte Hoffnung in einer ausweglosen Situation sein. 

Für die Freunde Fred Ernst und Jonas Gramowski ist eben jener Tunnel, den sie in einer alten Ziegelei in Richtung Australien graben, genau das: Ablenkung und Hoffnung. Treibende Kraft des Tunnelbaus ist Fred. Sein Vater ist Zollbeamter und möchte ihm den Kontakt zu Jonas am liebsten verbieten, schließlich ist Vati „in der Partei, der einzig großen, die wir in der DDR haben, und am Montag haben die immer Parteiversammlung. Hinterher hat er immer Kopfschmerzen. Alle in der DDR, die in der sozialistischen Einheitspartei sind, haben montags Versammlung. Aber wahrscheinlich haben nicht alle Kopfschmerzen.“ Doch ob mit Kopfschmerzen oder ohne, Freds Vater ist das klassisches Klischee des linientreuen DDR-Bürgers. Immer auf der Hut vor ‚Republikflüchtlingen‘ und ‚Klassenfeinden‘. So verwundertet es nicht, dass auch Fred „Imperialistenschweine abschießen und die Menschheit vom Joch der Unterdrückung befreien“ möchte, obwohl er überhaupt nicht weiß was ein Joch eigentlich ist. Er plappert nach was er Zuhause hört und steht trotzdem zu seinem besten Freund Jonas. Ihm ist egal dass Jonas an Gott glaubt oder weshalb Jonas Vater ausgerechnet in Bautzen gestorben ist. Fred möchte nur mit Jonas zusammen sein, auch wenn er dafür einen Tunnel in weißen Sand buddeln muss, „so weiß, als wenn man den Tee damit süßen könnte. Zuckersand.“ 

Wenn wir Blutsbrüder werden, sind wir unzertrennlich. In unseren Adern fließt dann das gleiche Blut. Ostler, Westler, Sozialismus, Kapitalismus, DDR, BRD – das spielt alles gar keine Rolle.

Die übliche Reihenfolge von Buch und Film lautet: Erst das Buch, dann der Film. In Falle von Dirk Kummers Alles nur aus Zuckersand entstand zunächst der mit vier Grimme-Preisen ausgezeichnete Fernsehfilm ‚Zuckersand‘ bevor pünktlich zum 30jährigen Mauerfall-Jubiläum das Kinderbuch folgte. Ebenso wie der Fernsehfilm orientiert sich die Handlung des Buches an Kummers eigener Jugend in Falkensee östlich von West-Berlin, spart jedoch einen sehr dramatischen Aspekt der Filmhandlung aus. Inwiefern die Handlung von Film und Buch mit der Realität übereinstimmt ist vermutlich zweitrangig, die Namensverbindung von Autor Dirk Kummer und Protagonisten Fred Ernst dürfte jedoch für sich sprechen. Wenngleich die Geschichte für geübte Zuschauer von ‚Weißensee‘, ‚Deutschland 83‘ oder ‚Preis der Freiheit‘ wenig Neues bietet, ist diese Thematik im Kinderbuch deutlich seltener zu finden. Auch anfängliche Zweifel bezüglich des kindlichen Erzählers und dessen Ausdrucksweise zerschlagen sich sobald deutlich wird, dass dieser verwendete Begrifflichkeiten häufig nicht versteht und alle weiteren Unklarheiten in ausreichendem Maße erklärt. Zusammenfassend ein gelungenes Buch über wahre Freundschaft und überwindbare Grenzen mit einer für alle Zeiten und alle Nationen gültigen Aussage:„Wenn wir Blutsbrüder werden, sind wir unzertrennlich. In unseren Adern fließt dann das gleiche Blut. Ostler, Westler, Sozialismus, Kapitalismus, DDR, BRD – das spielt alles gar keine Rolle.“

Dirk Kummer: Alles nur aus Zuckersand
Umschlaggestaltung und -typografie: formlabor
Satz: Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
Zeichnungen und Herstellung: Björn Liebchen
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Carlsen Verlag, Hamburg 2019, 144 Seiten, 12,00 €
ISBN 978-3-551-55390-4